Zum Erinnern ist es nie zu spät – Leben – Spuren – Erinnerung

LichterglanzAm Montag, 9. November 2015, wurden die Erinnerungssteine zum Gedenken an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus der Öffentlichkeit übergeben. Gleichzeitig fand auch eine Gedenkfeier zur Pogromnacht im Jahre 1938 statt.

Auch damals gab es Übergriffe in Höhr-Grenzhausen, in unserer Stadt. Zu Beginn der Gedenkfeier wurden Augenzeugenberichte wiedergegeben. So konnte ein Interview mit Frau Luise Krieg abgespielt werden und Stadtbürgermeister Michael Thiesen verlas einen Augenzeugenbericht von Siegfried Schnug.

Kantor Pasternak (links), Stadtbürgermeister Michael Thiesen und ich beim Aufstellen der Kerzen
Kantor Pasternak (links), Stadtbürgermeister Michael Thiesen und ich beim Aufstellen der Kerzen

Im Zusammenspiel mit der Erinnerungstafel an der Mauer des Stadtparks und den beiden Mahnmalen in unmittelbarer Nachbarschaft ist nun in Höhr-Grenzhausen eine zentrale Gedenkstätte entstanden. Gerade vor dem aktuellen Geschehen in Deutschland ist für mich die Erinnerung an die damaligen schlimmen Ereignisse besonders wichtig. Vielen Dank an die Schülerinnen und Schüler der Ernst-Barlach-Realschule plus und des Gymnasiums im Kannenbäckerland für die Projektunterstützung, das Lehrerkollegium und die Keramiker, die das Projekt unterstützt haben und dem Team vom Jugendhaus für die technische Unterstützung an diesem Abend. Die Teilnahme von Kantor Pasternak am Montag hat mich sehr gefreut.

Viele Besucher, darunter viele Schüler sorgten für einen würdigen Rahmen
Viele Besucher, darunter viele Schüler sorgten für einen würdigen Rahmen

Ein Auszug aus meiner Rede:

“…..Leben, Spuren, Erinnerung.

Menschen haben in Höhr-Grenzhausen gelebt, sie haben Spuren hinterlassen und dennoch war die Erinnerung an sie fast ausgelöscht. Menschen waren Nummern und trugen ihre Nummer eintätowiert auf der Haut.
Braucht Höhr-Grenzhausen ein Mahnmal?
Mit diesem Untertitel war die öffentliche Einladung für den Holocaust-Gedenktag im Jahre 2013 versehen. Heute im Jahre 2015 ist es soweit, wir haben es geschafft. Wir haben es geschafft, die Namen der damaligen jüdischen Mitbürger an einer Stelle dauerhaft in die Öffentlichkeit zu rücken.

Mit der heutigen Übergabe unserer Erinnerungssteine an die Öffentlichkeit, die die Namen, den Geburtstag,  das Sterbedatum und teilweise den Todesort wiedergeben, schließt sich ein Projekt ab, was lange brauchte um Realität zu werden. Nun aber, ist im Zusammenspiel, mit der Gedenktafel aus dem Jahre 1995, den beiden Mahnmalen in der Nachbarschaft, in Höhr-Grenzhausen ein zentraler Ort des Erinnerns entstanden. Das Zusammenspiel von Ursache und Wirkung wird erkennbar.

Nur wenige von uns, die wir heute hier versammelt sind, haben Erinnerungen an die damalige Zeit. Ich nicht und die Schülerinnen und Schüler ebenfalls nicht. Zu Beginn haben wir eine Audiosequenz aus einem Augenzeugenbericht von Frau Luise Krieg gehört, die damals im Alter von 16 Jahren, in Grenzhausen wohnte und uns für die Erstellung von Biografien ihre Eindrücke geschildert hat. Stadtbürgermeister Michael Thiesen hat Aufzeichnungen von Siegfried Schnug vorgelesen, der damals als junger Mensch in Grenzhausen wohnte. Es bleibt schonungslos festzuhalten, auch bei uns gab es Übergriffe gegenüber der jüdischen Bevölkerung. Hinter der Pogromnacht steckte ein menschenverachtendes, ja ein teuflisches System. Es war nicht dem Zufall überlassen, alles war geplant und auch so gewollt. Nach „offiziellen“ Angaben der damaligen nationalsozialistischen Herrscher wurden bei dem Pogrom 91 Menschen getötet und 267 Synagogen zerstört.
Menschen wurden in Schutzhaft genommen.
Die tatsächlichen Zahlen des Mordens und Zerstörens werden jedoch auf ein Vielfaches geschätzt.

Uwe Finke hat am 09.11.1998 im Stadtrat im Hinblick auf die Gedenktafel, die die Wort enthält: “Kain, wo ist dein Bruder Abel?”, einen Satz ausgesprochen, den ich heute gerne zitieren möchte, den er ist aktueller denn je. “Wir werden ihrem Gedenken und grauenhaftem Leiden nicht gerecht, wenn wir in regelmäßigen Abständen in Feierstunden mit salbungsvollen Reden ihr Schicksal beklagen und tags darauf den üblichen Ressentiments gegenüber anderen frönen, seien es Türken, Spätaussiedler oder Asylbewerber.”
Lieber Uwe, ich weiß du bist heute auch anwesend. Deine damaligen Worte sprechen für sich. Diese Erinnerungssteine sollen ein tagtägliches Zeichen in unserer Stadt sein und nicht nur ein Lippenbekenntnis……

……Diese Keramiktafeln befinden sich nun mitten in Höhr-Grenzhausen. Der Leser wird keine Erläuterungen brauchen, man wird sofort verstehen, wenn man liest Rosa Schnug, gestorben 23.10.1943 Auschwitz.

Einer der angebrachten Erinnerungssteine
Einer der angebrachten Erinnerungssteine

Wir können den Namenlosen mit der tätowierten Nummer vielleicht nicht die Menschenwürde zurückgeben, aber wir können sie wieder bei dem Namen nennen. Nicht eine Jüdin aus Höhr-Grenzhausen wurde in Theresienstadt ermordet, nein es war Minna Steinhardt.
Damals, als im Jahre 1938 Menschen in unserer Stadt, anderen Menschen die Möbel auf die Straße warfen, Wohnungen unbrauchbar machten, Hab und Gut zerstörten und im ganzen Land Synagogen brannten, wurde der 9. November zum Symbol antisemitischer Ausschreitungen. Zu einem Symbol der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Ausrottungspolitik. Jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger wurden gedemütigt, geschlagen, misshandelt.
Heute im Jahre 2015, prägt dieses Land, die Bundesrepublik Deutschland eine Werteordnung die im Jahre 1949 verabschiedet wurde.

Damals im Jahre 1938 gab es eine solche freiheitliche Grundordnung nicht. Blanker Hass schlug den Menschen entgegen. Hass geprägt von Intoleranz, Diskriminierung und Rassismus. Und heute? Wir müssen aufpassen, dass sich Geschichte nicht wiederholt.

Sie darf sich nicht wiederholen!

Deutschland steht vor einer großen Herausforderung, der Ansturm vieler Menschen die um Asyl bitten ist nicht einfach zu bewältigen. Es müssen Regeln aufgestellt und auch Regeln eingehalten werden. Auch von den Asylsuchenden. Doch all jene, die mit Stammtischparolen Stimmung machen, sich als Giftmischer betätigen und sich dann auf unsere Rechtsordnung zurückziehen und Meinungsfreiheit reklamieren, sollten ihr Handeln auch an den im Grundgesetz manifestierten Grundrechten ausrichten. Es ist teilweise abstoßend und widerwärtig, was man bei Demonstrationen, in sozialen Netzwerken lesen und hören muss. Das ist nicht unser weltoffenes Deutschland.

Der Schutz unserer Demokratie und der Einsatz für ein tolerantes Miteinander ohne Ausgrenzung, Hass, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit ist eine Aufgabe, die jeden Einzelnen von uns betrifft. Für diese Aufgabe trägt jeder die Verantwortung. Diese Aufgabe fordert Mut und Eigeninitiative. Aber auch Solidarität, Toleranz und Weltoffenheit. Eine Haltung, die damals, im nationalsozialistischen Deutschland, aus verschiedenen Gründen nicht gelebt wurde und deren Fehlen eine Pogromnacht wie die am 9. November 1938 und den Holocaust schließlich erst ermöglichte.

Es gilt der eine Satz.

Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Print Friendly, PDF & Email